OGH-Entscheidung 6 Ob 181/18p vom 27.02.2019
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** S*****, vertreten durch Dr. Andreas Schöppl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Hon.-Prof. Dr. C***** T*****, vertreten durch MMag. Dr. Philipp Götzl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Juni 2018, GZ 1 R 60/18a-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. März 2018, GZ 9 Cg 85/17a-12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, der Beklagte sei gegenüber der Klägerin schuldig, die Nennung der Namen Dr. S***** S***** und I***** M***** auf der Website ***** oder auf einer anderen an diese Stelle tretenden Website unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. 3. 2016, 6 Ob 26/16s, zu unterlassen, wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 6.401,04 EUR (darin enthalten 876,34 EUR USt und 1.143 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.763,54 EUR (darin enthalten 222,09 EUR USt und 1.431 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hieß früher Dr. I***** M*****. Mit Bescheid der Stadt Innsbruck vom ***** wurde der Klägerin auf Antrag gemäß § 1 Abs 1 Z 1 und § 2 Abs 1 Z 11 des Namensänderungsgesetzes die Änderung ihres Vornamens und Familiennamens in S***** S***** bewilligt.
Die Klägerin führt beim Landesgericht Salzburg einen Zivilprozess gegen das US-amerikanische Unternehmen g*****.inc, weil dessen Internetsuchmaschine bei Eingabe ihres früheren Namens „I***** M*****“ diesen Suchbegriff mittels Autovervollständigung (Autocomplete-Funktion) um den aktuellen Namen „S***** S*****“ ergänzt und auf diese Weise eine von der Klägerin nicht erwünschte Verknüpfung der beiden Namen herstellt.
Im Provisorialverfahren dieses Zivilprozesses erging am 30. 3. 2016 zu 6 Ob 26/16s eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die sich mit der insbesondere namensrechtlichen Zulässigkeit von Autocomplete-Suchvorschlägen befasst und im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS-Justiz) veröffentlicht wurde. Der frühere und der aktuelle Name der Klägerin scheinen im veröffentlichten Entscheidungstext nur in anonymisierter Form, nämlich I**** M**** und S**** S****, auf.
Die Klägerin bekämpft in mehreren Gerichtsverfahren Annahmen und Behauptungen, wonach sie während ihrer Tätigkeit als Zahnärztin in den Niederlanden Patienten nicht lege artis behandelt und/oder Abrechnungen nicht korrekt vorgenommen habe und in weiterer Folge in Großbritannien ihre Eintragung in die Liste der dortigen Zahnärzte unter Verschweigung standesrechtlicher Verfahren in den Niederlanden erreicht habe. Die Klägerin sieht sich diesbezüglich als Opfer einer laufenden Verleumdungskampagne. In diesem Sinne bestreitet die Klägerin auch die im Zusammenhang mit dem Vorwurf standeswidrigen und nicht lege artis Vorgehen in der Entscheidung 6 Ob 26/16s enthaltenen Sachverhaltsannahmen.
Der beklagte Rechtsanwalt betreibt die Website *****, die er unter anderem dazu benützt, seine rechtswissenschaftlichen Publikationen zugängig zu machen und Gerichtsentscheidungen zu glossieren.
Er gab den im RIS-Justiz veröffentlichten Text der OGH-Entscheidung 6 Ob 26/16s auf dieser Website wieder und führte dazu in seiner Entscheidungsanmerkung wörtlich aus:
„[…] Gegenstand des Rechtsstreits zwischen einer österreichischen Zahnärztin und dem US-amerikanischen Konzern bildete die Unterlassung der automatischen Vervollständigung des Suchbegriffs [ausgeschriebener früherer Vor- und Familienname der Klägerin] mit dem Begriff [ausgeschriebener jetziger Vor- und Familienname der Klägerin]. Der Bedeutungsgehalt dieser Aussage besteht darin, den früheren bürgerlichen Namen der Klägerin mit jenem Namen zu verknüpfen, den die Klägerin nach behördlich bewilligter Namensänderung aus sonstigen Gründen nunmehr führen darf. Andere ‚AutoSuggests‘ mit dem Namen der Klägerin wie etwa ‚Verleumderin‘ oder ‚Verbrecherin‘ hatte die Beklagte bereits nach außergerichtlicher Abmahnung entfernt.“
Der Beklagte hatte die beiden vollständigen Namen der Klägerin aus einer als pdf-Datei in der Entscheidung 6 Ob 38/15d angegebenen Fundstelle erlangt, die zwischenzeitig nicht mehr abrufbar ist. Die vor Klagseinbringung erfolgte Anonymisierung beider Namen der Klägerin („I***** M***** und S**** S****“) in der Glossierung nahm der Beklagte aufgrund einer Disziplinaranzeige der Klägerin bei der Rechtsanwaltskammer Salzburg deshalb vor, da er sich standesrechtlich dazu als verpflichtet erachtete.
Die Klägerin begehrt die Unterlassung der Nennung der Namen Dr. S***** S***** und I***** M***** auf der Website ***** oder auf einer an deren Stelle tretenden Website unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 30. 3. 2016, 6 Ob 26/16s. Der Oberste Gerichtshof habe in dieser Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt, den sie betreffend die darin enthaltenen Vorwürfe bestreite. Der Oberste Gerichtshof habe diese Entscheidung anonymisiert veröffentlicht, der Beklagte habe die Entscheidung allerdings so glossiert, dass er sowohl ihren derzeitigen als auch ihren früheren Namen öffentlich genannt habe. Damit habe er sie in ihren schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt. Da sie der Veröffentlichung ihrer Namen nicht zugestimmt habe, hänge die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer Interessenabwägung ab, die zu ihren Gunsten zu erfolgen habe. Der Beklagte verknüpfe damit ihre Namen mit Vorwürfen, die sie massiv bestreite und gegen die sie sich persönlich wende. Wer ein Gerichtsverfahren führe, müsse auch darauf vertrauen können, dass die Veröffentlichung von Entscheidungen so erfolge, dass die Anonymität der Verfahrensparteien geschützt bleibe. Die Namensnennung sei nicht notwendig gewesen, weil der genaue Wortlaut der Namen für das Verständnis der Entscheidung auch völlig unerheblich sei und auch nichts mit juristischer Forschung zu tun habe. Jedem Grundrecht seien Grenzen immanent, welche bei der Wissenschaftsfreiheit sicher dann gegeben seien, wenn in Persönlichkeitsrechte eingegriffen werde.
Der Beklagte wendete ein, er habe den Alt- und/oder Neunamen der Klägerin auf seiner Website weder rechtswidrig noch schuldhaft verwendet. Kern der die Klägerin offenbar störenden Wissenschaftspublikation bilde die Entscheidung 6 Ob 26/16s [Autocomplete], die in zahlreichen Fachzeitschriften veröffentlicht sei. Darin habe die Klägerin vergeblich versucht, eine Verknüpfung ihres früheren Familien- und Vornamens mit ihrem geänderten Namen durch die Suchmaschine Google zu verhindern. Die Information dazu entstamme aus der bei Verfassen der Glosse öffentlich zugänglichen berufsrechtlichen Entscheidung der britischen Aufsichtsbehörde für Zahnärzte und Dentisten („General Dental Council“), die der Oberste Gerichtshof bereits zuvor abgedruckt und dazu die pdf-Datei genannt gehabt habe (6 Ob 38/15d). Die Fundstelle sei im Internet frei abrufbar gewesen. In der österreichischen Rechtsordnung würden keine generellen Anonymisierungspflichten für die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen durch Private bzw im wissenschaftlichen Kontext bestehen. Sowohl die Wissenschaftsfreiheit als auch die wahrheitsgemäße Darstellung des den Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalts erforderten eine Nennung von „Ross und Reiter“. Auch in der Veröffentlichung der englischen Administrativbehörde sei der volle Name der Klägerin offen genannt worden. Der klägerische Unterlassungsanspruch müsse schon daran scheitern, dass wissenschaftliche Werke generell keine Ansprüche nach § 1330 ABGB auslösen könnten. Die Rechtsprechung habe eine Nennung des Alt- und Neunamens durch einen Suchmaschinenbetreiber ebenso erlaubt wie zur Berichterstattung. Nach dem Grundrecht auf Meinungsäußerung, das auch wissenschaftliche Äußerungen erfasse, sei die inkriminierte Veröffentlichung auch durch die Wissenschaftsfreiheit nach Art 17 Abs 1 StGG gerechtfertigt. Im Übrigen habe die Klägerin durch ihre zahlreichen Gerichtsprozesse sowie ihr außergerichtliches Vorgehen gegen Personen, die wahrheitsgemäß eine Nennung ihres Alt- und Neunamens (in einem Atemzug) vornehmen, Anlass zur Nennung gegeben. Es komme nicht auf eine Notwendigkeit der Namensnennung durch ihn an, sondern die Klägerin habe vielmehr zu beweisen, dass die Namensnennung im konkreten Fall durch ein höherwertiges Recht oder eine gesetzliche Vorschrift zu untersagen notwendig sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, die Klägerin stütze ihren Unterlassungsanspruch auf eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gemäß § 16 ABGB. Nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung gebe es kein allgemeines Recht, den „Gebrauch“ des Namens eines anderen im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, soweit dies durch bloße Namensnennung geschehe. Die allfällige Rechtswidrigkeit einer solchen Namensnennung ergebe sich erst aus dem Inhalt der damit verbundenen Aussage. Habe der Betroffene nicht zugestimmt und bestehe weder ein gesetzliches Verbot noch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, hänge die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer vorzunehmenden Interessenabwägung ab, die hier zugunsten der Klägerin ausfalle: Zu beurteilen sei nämlich nicht, ob die Klägerin in irgendeinem anderen ihrer mehreren geführten Verfahren oder auf der Website einer Internetsuchmaschine einen Anlass gegeben habe, ihre beiden Namen zu nennen, sondern nur, ob die Klägerin einen Anlass für die Nennung beider Namen in der Glosse des Beklagten gegeben habe. Der einzige Anlass, den sie dazu gegeben haben könnte, sei die Führung des betreffenden Gerichtsverfahrens. Dies sei aber kein sachlicher Anlass, die in der OGH-Entscheidung vorgenommene Anonymisierung durch die Nennung beider Namen der Klägerin wirkungslos zu machen. Die Nennung beider Namen in der Glossierung sei nicht notwendig und habe dazu geführt, dass die Klägerin identifizierbar mit dem von ihr bestrittenen Sachverhalt, standeswidrig und nicht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst gehandelt zu haben, in Verbindung gebracht worden sei. Ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit an beiden vollen Namen der Klägerin im Zusammenhang mit der Glossierung der Autocompleteentscheidung bestehe nicht.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. § 15 Abs 4 OGHG, wonach in der Entscheidungsdokumentation Justiz unter anderem Namen zu anonymisieren sind, richte sich ausschließlich an die Justiz bzw den Obersten Gerichtshof und könne daher keine Grundlage für die Beurteilung der Namensnennung durch den Beklagten als Verfasser eines juristischen Kommentars einer OGH-Entscheidung bilden. Die Führung des Verfahrens, in dem die Provisorialentscheidung 6 Ob 26/16s ergangen sei, sei unter Umständen auch nicht der einzige sachliche Anlass zur Namensnennung gewesen, den die Klägerin gesetzt habe, insbesondere sei auf das ihr vorgeworfene Verhalten im Zusammenhang mit dem Versuch, in die britische Liste der Zahnärzte eingetragen zu werden, zu verweisen, das zu einer im Internet veröffentlichten Entscheidung des General Dental Councils geführt habe. Dennoch falle die nach § 16 ABGB gebotene Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus. Bei der inkriminierten Glosse des Beklagten handle es sich nicht um einen journalistischen Beitrag, sodass das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nur eine untergeordnete Rolle spiele. Kern des Beitrags des Beklagten sei die wissenschaftliche Aufarbeitung bzw Kommentierung der OGH-Entscheidung 6 Ob 26/16s, für die die vollständige Namensnennung der Klägerin nicht notwendig sei, und zwar auch nicht für das Verständnis der Autocomplete-Funktion oder der Möglichkeiten des Suchalgorithmen. Dass die Klägerin allfällige sachliche Anlässe zur Namensnennung gesetzt haben möge, sei daher bei der hier zu beurteilenden Interessenabwägung nicht primär relevant. Dass die Klägerin ein gewisses schutzwürdiges Interesse an der Namensanonymität habe, sei offenbar, bekämpfe sie doch mehrfach die Verknüpfung ihres alten mit ihrem neuen Namen im Zusammenhang mit den ihr vorgeworfenen Vergehen in den Niederlanden und in Großbritannien als Zahnärztin. Es sei daher durchaus verständlich, dass die Klägerin wolle, dass möglichst wenige Personen eine Verbindung dieser Vorwürfe mit ihrer Person bzw ihrem geänderten Namen herstellen könnten. Ein berechtigtes Interesse des Beklagten an der Veröffentlichung der vollständigen Namen der Klägerin im Kontext einer wissenschaftlichen Glossierung einer Gerichtsentscheidung bestehe nicht, weil die Namensnennung für das Verständnis der Entscheidung und der Kommentierung keinen Vorteil bringe. Der Beklagte könne sein behauptetes Recht auf Namensnennung somit auch nicht auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK gründen. Der Umstand, dass die Namen der Klägerin schon zuvor öffentlich genannt worden seien, rechtfertige es alleine noch nicht, diese Namen auch auf der Website des Beklagten anlässlich einer juristischen Kommentierung einer Gerichtsentscheidung zu nennen. Das Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Namensanonymität bestehe solange fort, als die Gefahr drohe, dass ihr Persönlichkeitsrecht durch weitere Namensnennungen im beanstandeten Zusammenhang gegenüber einem neuen Personenkreis verletzt werden könne.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zum Recht auf Namensanonymität bei einer juristischen Bearbeitung einer gerichtlichen Entscheidung keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne der Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung – Erst vor dem OGH wendet sich das Blatt
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
Der Revisionswerber bringt vor, wissenschaftlich-journalistische Werke könnten keine Ansprüche nach § 1330 ABGB auslösen. Nach der Rechtsprechung sei der Betroffene, hier also die Klägerin, für seine zu berücksichtigenden Schutzpositionen behauptungs- und beweispflichtig. Daran, dass sie sich, nachdem ihre Malversationen aufgedeckt worden seien, in die Anonymität flüchten möchte, bestehe ein öffentliches Berichtsinteresse. § 15 OGHG richte sich nur an die Justiz. Die Klägerin habe längst ihre „Intimsphäre“ verlassen und aus Eigenem die weniger schützenswerte Sozialsphäre betreten, wo sie kräftig „austeile“, weshalb sie sich die Namensnennung gefallen lassen müsse. Die Namensnennung sei im Sinn der medienrechtlichen Zitatenjudikatur zulässig, da es sich bei der Website des Beklagten um ein Medium iSd § 6 Abs 2 Z 3a MedienG handle. Dem Beklagten komme die Rechtfertigung der wahrheitsgetreuen Äußerung eines Dritten zu, weil er seine Berichterstattung neutral und ohne Identifikation mit der veröffentlichten Meinung des Zitierten vorgenommen habe. Die Namensnennung sei auch unter dem Blickwinkel des Rechts auf Meinungsfreiheit nach Art 10 EMRK erlaubt. Von § 16 ABGB geschützte Interessen der Klägerin stünden hier der Namensnennung nicht entgegen.
Die Revisionsgegnerin bringt vor, es gehe nicht um Ansprüche nach § 1330 ABGB. Ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit sei nicht gegeben. Die juristisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs könne eine Notwendigkeit, die vorgenommene Anonymisierung zu durchbrechen, nicht begründen. Der inkriminierte Artikel wende sich an ein juristisches Fachpublikum, das kein wissenschaftliches Interesse an den tatsächlichen Namen der Klägerin habe. Durch die Namensnennung werde weder die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs noch die Glossierung des Beklagten verständlicher. Der Beklagte könne sich nicht auf seine Position als Medieninhaber zurückziehen oder sich auf die medienrechtliche Zitatenjudikatur stützen, weil er den gegenständlichen Artikel persönlich verfasst habe. Die (bloße) Befassung eines Gerichts, die dann zu einer Entscheidung führe, könne die Veröffentlichung dieser Entscheidung ohne Anonymisierung nicht rechtfertigen. Ob und wie die Namen der Klägerin ausgeforscht werden könnten, habe nichts damit zu tun, ob der Beklagte berechtigt sei, diese Namen zu veröffentlichen. Der in der Entscheidung referierte Sachverhalt, den die Klägerin bestreite, sei geeignet, diese in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Allgemeines
1.1. Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB
Das Recht auf Achtung der Geheimsphäre ist in der Judikatur als Persönlichkeitsrecht im Sinn des § 16 ABGB anerkannt (vgl RIS-Justiz RS0009003). Es besteht kein allgemeines Recht, den „Gebrauch“ des Namens eines anderen im geschäftlichen Verkehr, soweit dies durch bloße Namensnennung geschieht, zu unterlassen; die allfällige Rechtswidrigkeit einer solchen Namensnennung ergibt sich erst aus dem Inhalt der damit verbundenen Aussage (RIS-Justiz RS0009319). Der Namensträger hat somit kein uneingeschränktes Recht zu entscheiden, ob sein Name in der Öffentlichkeit genannt werden darf (RIS-Justiz RS0109217 [T3]).
Allerdings hat die Rechtsprechung auch das „Recht auf Namensanonymität“ entwickelt (vgl RIS-Justiz RS0009003 [T3]): Der Gebrauch des Namens verstößt dann gegen § 16 ABGB, wenn die Namensnennung in einer schutzwürdige Interessen des Genannten beeinträchtigenden Weise erfolgt (RIS-Justiz RS0009319 [T1]). Der Schutz der Privatsphäre auf der einen Seite ist mit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit und dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit auf der anderen Seite abzuwägen.
Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit wird dabei zur Verneinung der Rechtswidrigkeit einer Namensnennung führen, wenn der Namensträger selbst sachlichen Anlass zur Nennung gegeben hat (RIS-Justiz RS0008998). Ist die Namensnennung nicht gesetzlich verboten und hat der Namensträger einen sachlichen Anlass zur Nennung seines Namens gegeben, dann wiegt das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit regelmäßig schwerer als der Schutz der Privatsphäre (RIS-Justiz RS0008998 [T8]). Umgekehrt kann jedoch aus dem Umstand, dass der Genannte selbst keinen sachlichen Anlass für die Nennung seines Namens gesetzt hat, noch nicht zwingend auf die Unzulässigkeit der Namensnennung geschlossen werden (6 Ob 266/06w).
Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen; es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RIS-Justiz RS0008990).
1.2. Meinungsfreiheit
Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Die Meinungsfreiheit kann nach Art 10 Abs 2 EMRK bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.
Jeder Eingriff in das verfassungsrechtliche Recht auf freie Meinungsäußerung muss somit gesetzlich vorgesehen sein. Vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Rechtslage muss die Interessenabwägung allerdings regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, ist doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 MRK ausreichend konkretisiert (6 Ob 266/06w = RIS-Justiz RS0008990 [T8]). So wurde in der soeben zitierten Entscheidung die namentliche Nennung eines in der Öffentlichkeit bekannten Zeugen in einem Strafverfahren wegen Raubmords für zulässig erachtet (RIS-Justiz RS0008990 [T10]).
1.3. Öffentlichkeit des Provisorialverfahrens
Nach Art 6 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss – von näher angeführten Ausnahmen abgesehen – öffentlich verkündet werden.
Aufgrund der Entscheidung des EGMR vom 15. 10. 2009, Micallef gegen Malta, 17056/06, sind im Regelfall nunmehr auch im Provisorialverfahren die Garantien des Art 6 EMRK voll anwendbar (vgl 2 Ob 140/10t = RIS-Justiz RS0074799 [T11] = RS0028350 [T8]). Daraus wird in der Lehre gefolgert, dass in der Regel auch im Provisorialverfahren eine öffentliche Verhandlung stattzufinden hat (vgl zuletzt Mann-Kommenda, Rechtliches Gehör in Sicherungs- und Exekutionsverfahren [Diss 2017] 135, 170, 174).
Daraus ergibt sich, dass es auch für Parteien eines Provisorialverfahrens – wie hier – keine uneingeschränkte Anonymität geben kann, werden doch in einer öffentlichen Verhandlung bzw Verkündung der Entscheidung die Namen der Parteien der anwesenden Öffentlichkeit bekannt.
1.4. Beweislast
Im Zusammenhang mit dem Widerspruchsrecht betreffend die Verwendung von Daten nach § 28 Abs 1 DSG 2000 (idF BGBl I 2009/133) hat der Oberste Gerichtshof (implizit) ausgesprochen, dass der von der Datenverwendung Betroffene das Bestehen schutzwürdiger Interessen (für die Geheimhaltung) beweisen muss (6 Ob 48/16a ErwGr 5.). Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Namensanonymität kann nichts Anderes gelten.
2. Vorliegender Fall
Nach den dargelegten Grundsätzen schlägt die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Beklagten aus, weil die Klägerin keine ausreichenden schutzwürdigen Interessen an ihrer Namensanonymität im vorliegenden Zusammenhang behauptet und bewiesen hat: Grundsätzlich ist hier die Namensnennung durch keine eindeutige und ausdrückliche gesetzliche Bestimmung verboten. Wenn die Klägerin die Verpflichtung des Obersten Gerichtshofs, seine Entscheidungen in der Entscheidungsdokumentation Justiz zu anonymisieren, ins Treffen führt (§ 15 Abs 4 OGHG), so richtet sich diese Bestimmung nur an die Justiz selbst, nicht auch an außenstehende Dritte wie den Beklagten. Ein Anhaltspunkt, diese Bestimmung analog auf Dritte anzuwenden, ist nicht ersichtlich. Nach der unter Punkt 1.4. dargestellten Beweislast muss entgegen der Ansicht der Klägerin nicht der Beklagte dartun, dass die Namensnennung für seine (wissenschaftlichen) Zwecke notwendig ist, zumal die oben dargestellten Grundrechte der Art 6 und 10 EMRK hier im Zweifel für das Recht auf Namensveröffentlichung sprechen. Aus den Feststellungen dieses Verfahrens sowie im Vorverfahren 6 Ob 26/16s ergibt sich auch, dass die Klägerin in der Vergangenheit bis zu einem gewissen Grad selbst einen sachlichen Anlass zur Namensnennung gegeben hat, hat sie doch mehrere Gerichtsverfahren angestrengt und wurde das sie betreffende Disziplinarerkenntnis der englischen Administrativbehörde unter Namensnennung der Klägerin im Internet veröffentlicht.
Mag auch die Klägerin die für sie nachteiligen Feststellungen im Vorprozess (insbesondere die vorsätzliche Falschaussage bei der britischen Standesbehörde) bestreiten, so wurden diese Feststellungen von den Vorinstanzen im Vorprozess (der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz, sondern an die Feststellungen der Vorinstanzen gebunden) unter Beachtung des rechtlichen Gehörs der Klägerin getroffen. Auch wenn sich die Klägerin im Zusammenhang mit der sie namentlich nennenden Berichterstattung über die Vorentscheidung verständlicherweise öffentlich herabgesetzt sieht, rechtfertigt dies nicht ihr allfälliges Geheimhaltungsinteresse an diesen in einem Gerichtsverfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen. Dass sich mittlerweile in einem anderen Gerichtsverfahren (oder im Hauptverfahren des Vorprozesses) für sie günstigere Feststellungen, die denen der Vorentscheidung widersprächen, ergeben hätten und somit die Unrichtigkeit der Feststellungen im Vorprozess hervorgekommen wäre, hat die Klägerin nicht behauptet.
Zusammengefasst ergibt somit die vorgenommene Interessenabwägung, dass die von der Klägerin inkriminierte Namensnennung durch den Beklagten im Zusammenhang mit der Entscheidung im Vorprozess nicht rechtswidrig war, weshalb das Klagebegehren abzuweisen war.
3. Die Kostenentscheidungen gründen auf den §§ 41, 50 ZPO. Da die Berufung kein verfahrenseinleitender Schriftsatz ist, steht der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG nur mit 2,10 EUR zu (RIS-Justiz RS0126594).