Die Mieterin eines Geschäftslokals (Solarstudio) muss wegen der behördlichen Betretungsverbote im Zusammenhang mit der SARS-CoV2-Pandemie für April 2020 keinen Bestandzins zahlen.
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof (3 Ob 78/21y) war die Frage, ob die Mieterin eines Solarstudios verpflichtet war, den Mietzins für April 2020 zu zahlen, obwohl Kunden in jenem Monat das Geschäftslokal aufgrund behördlicher Anordnungen gar nicht betreten durften. Der Oberste Gerichtshof verneinte diese Frage in Übereinstimmung mit der überwiegenden Lehre und den Gerichten erster und zweiter Instanz:
Gemäß § 1104 ABGB muss der Bestandnehmer keinen Mietzins entrichten, wenn das Bestandobjekt wegen außerordentlicher Zufälle wie insbesondere „Feuer, Krieg oder Seuche“ nicht genutzt werden kann. Dieser Tatbestand war im konkreten Fall durch das Betretungsverbot unzweifelhaft erfüllt. Die Klägerin konnte das zum Betrieb eines Sonnenstudios gemietete Geschäftslokal auch nicht teilweise nutzen. Der bloße Verbleib der für den Betrieb erforderlichen Einrichtung ist keine „Nutzung“ des Lokals zum vertraglich vereinbarten (Geschäfts-)Zweck. Die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge des Elementarereignisses (Seuche und daraus folgendes Betretungsverbot) ist, dass „kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten“ ist.
Hier ist der Volltext der Entscheidung:
Geschäftszahl: 3Ob78/21y, Entscheidungsdatum: 21.10.2021
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Heinrich Nagl und Mag. Timo Ruisinger, Rechtsanwälte in Horn, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Mag. Johannes Polt, Rechtsanwalt in Horn, wegen Unzulässigkeit einer Räumungsexekution, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems als Berufungsgericht vom 12. März 2021, GZ 1 R 176/20t-17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Horn vom 2. September 2020, GZ 2 C 168/20w-11, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Beklagte ist Eigentümer eines Hauses, in dem sich ebenerdig ein Geschäftslokal befindet. Die Klägerin ist die Mieterin dieses Objekts. Das Bestandverhältnis unterliegt dem MRG. Vereinbarte Verwendungszwecke sind „Sonnenstudio und artverwandte Tätigkeiten samt arttypischen Nebenbereichen wie Getränkeausschank, Verkauf Zubehör/Pflegeartikel etc“.
[2] Mit gerichtlichem Vergleich vom 28. Jänner 2020 verpflichtete sich die Klägerin, den vereinbarten Mietzins zuzüglich Betriebs- und Heizkostenakonto jeweils bis zum Zehnten eines Monats zu zahlen, und für den Fall des auch nur teilweisen Zahlungsverzugs im Zeitraum Februar 2020 bis Februar 2021 das Bestandobjekt binnen eines Monats ab Zahlungsverzug unter Verzicht auf jeden Räumungsaufschub zu räumen.
[3] Nach Ankündigung der behördlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie schaltete die Klägerin Mitte März 2020 im Geschäftslokal insbesondere Heizung und Strom sowie sämtliche Geräte zur Gänze ab; sie nahm ihren Computer mit, hielt sich in der Folge an die Ausgangsbeschränkungen und war im April 2020 nicht im Geschäftslokal. Abgesehen von der Einrichtung, insbesondere den Sonnenbetten und einigen dekorativen Gegenständen, befanden sich im April 2020 keine Fahrnisse der Klägerin im Bestandobjekt. Sie konnte dieses im April 2020 weder für den sonst üblichen Betrieb ihres Sonnenstudios samt Nebentätigkeiten, wie den Verkauf von Getränken, nutzen, noch lagerte sie Gegenstände, insbesondere auch keine Getränke, dort. Pflegeprodukte, wie Cremen oder Öle, hatte sie schon in der Zeit vor Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen nicht mehr im Geschäftslokal verkauft. Die Klägerin verrichtete im April 2020 auch keine administrativen Tätigkeiten mehr im Geschäftslokal. Von zu Hause aus erklärte sie auf Facebook, dass das Studio derzeit geschlossen sei. Ende März 2020 erhielt die Klägerin auf ihre Anfrage bei der Wirtschaftskammer sowie bei ihrem Steuerberater die Auskunft, dass sie wegen der Ausgangsbeschränkungen keine Miete, keine Betriebskosten und auch keine Heizkosten zahlen müsse. Die Klägerin schrieb dem Beklagten am 1. April 2020, dass das Betretungsverbot auch für ihr Mietobjekt gelte, sie dieses daher derzeit nicht benutzen könne und sie wegen der geltenden Regelungen keinen Miet- und Pachtzins zu entrichten habe.
[4] Für April 2020 zahlte die Klägerin weder Mietzins noch Betriebs- oder Heizkosten. Der Beklagte beantragte daraufhin die Exekution zur Räumung des Geschäftslokals. Das Erstgericht bewilligte am 18. Mai 2020 die – allein auf ausständige Mietzins- und Betriebskostenzahlung für April 2020 gestützte – Räumungsexekution.
[5] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass sie im Zeitraum 1. April bis 30. April 2020 von der Entrichtung des Mietzinses zur Gänze befreit gewesen und „insoweit der Räumungsvergleich unwirksam“ sei; das von der Beklagten geführte Exekutionsverfahren möge für unzulässig erklärt werden. Der vereinbarte Vertragszweck des Mietverhältnisses sei der Betrieb eines Sonnenstudios. Infolge der COVID-19-Pandemie habe die Klägerin das Geschäftslokal ab 16. März 2020 bis einschließlich 30. April 2020 nicht nutzen dürfen, weil der Betrieb nicht unter einen Ausnahmetatbestand der COVID-19 Verordnung BGBl II 2020/96 gefallen sei und das Betretungsverbot somit auch für dieses Lokal gegolten habe. Die Klägerin habe dies dem Beklagten schriftlich mitgeteilt. Dennoch habe der Beklagte einen Zahlungsverzug behauptet und die Räumungsexekution bewilligt erhalten. Schritte zur Einbringung des Bestandzinses habe der Beklagte nicht gesetzt, was zeige, dass die Exekutionsführung in Schädigungsabsicht erfolge. Eine Verordnung über Fixkostenzuschüsse sei erst am 25. Mai 2020 erlassen worden und die Klägerin habe auch keine derartigen Zuschüsse beanspruchen können.
[6] Der Beklagte wandte zusammengefasst ein, die Klägerin habe auf die Bewilligung der Räumungsexekution nicht reagiert; aufgrund des Vergleichs liege eine „abstrakte Räumungsverpflichtung“ vor. Nach „Meinungen auf juristischen Plattformen“ komme es bei Geschäftsraummieten zu keiner vollständigen Mietzinsbefreiung. Die Klägerin hätte daher unter Vorbehalt der Rückforderung den Mietzins bezahlen müssen. Jedenfalls sei sie verpflichtet gewesen, die Betriebskosten und Heizkostenakontozahlungen zu leisten. In den Medien sei darüber hinaus „publiziert, dass Kleinunternehmer Sofortzahlungen und Fixkostenzuschüsse erhalten“, und dazu habe die Klägerin bisher keine „Grundlagen“ geliefert. Die Klägerin hätte bis zu 75 % der Miete durch Gewährung eines Fixkostenzuschusses erhalten können und daher sei das Klagebegehren „schikanös“. Schließlich habe die Klägerin das Lokal durch die im Bestandobjekt befindliche Einrichtung genutzt.
[7] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es führte rechtlich aus, dass die Richtlinien für Fixkostenzuschüsse erst Ende Mai 2020 bekanntgegeben worden seien, weshalb die Klägerin davon im April 2020 nichts habe wissen können. Die Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts aufgrund eines behördlich verfügten Verbots sei eine solche im Sinn des § 1104 ABGB. Die Zinsminderung erstrecke sich auf alle Bestandteile des Mietzinses und damit auch auf die Betriebskosten. Die Klägerin sei daher mit der Miete für April 2020 nicht säumig und die Exekutionsführung aus diesem Grund nicht zulässig, weshalb das Klagebegehren berechtigt sei.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts mit der sinngemäßen Maßgabe, dass es den Räumungsanspruch aus dem Vergleich infolge eines Mietzinsrückstands für April 2020, aufgrund dessen die Räumungsexekution bewilligt wurde, für erloschen erklärte. Es war der Rechtsansicht, dass die Klägerin mit ihrem Feststellungsbegehren eine Oppositionsklage erhoben habe und der Urteilsspruch dahin anzupassen gewesen sei. Die Klägerin sei im April 2020 an der Benützung des Bestandobjekts zum bedungenen Gebrauch als Sonnenstudio gehindert gewesen und habe damals im Bestandobjekt keine Waren gelagert, sondern nur die Einrichtung ihres Betriebs nicht entfernt. Dieser Umstand stehe einer Mietzinsbefreiung nicht entgegen und diese umfasse auch die Betriebs- und Heizkosten. Überdies habe die Klägerin den Strom und die Heizung im Objekt komplett abgeschaltet. Soweit der Beklagte auf mögliche Zuschüsse verweise, stünden diese dem Mieter (Unternehmer) nur insoweit zu, als dieser aufgrund der Rechtslage zur Zahlung solcher Kosten verpflichtet (gewesen) sei, nicht aber – wie hier – in jenen Fällen, in denen der Bestandnehmer Mietzinsbefreiung habe geltend machen können.
[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Anwendbarkeit des § 1104 ABGB auf die COVID-19-Pandemie noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung. Hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Klägerin erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
[13] 1.1 Für die Beurteilung der Rechtsnatur einer Klage (§ 35 EO oder § 36 EO) ist nicht allein die Bezeichnung maßgebend, sondern es kommt auf das gesamte Klagsvorbringen an (vgl RS0001876 [T2]). Eine Impugnationsklage zielt (nur) auf die Unzulässigerklärung der konkreten Anlassexekution ab (RS0000947). Im Unterschied dazu hat die Oppositionsklage sowohl die Feststellung des Erlöschens bzw der Hemmung des Anspruchs als auch die Unzulässigerklärung jeglicher Zwangsvollstreckung aus dem Titel zum Ziel. Während sich die Oppositionsklage also gegen den betriebenen Anspruch mit dem Vorbringen richtet, dieser sei erloschen oder gehemmt, dient die Impugnationsklage dem Verpflichteten als Rechtsbehelf zur Geltendmachung von Sachverhalten, die gerade nicht den Bestand oder die Hemmung des titulierten Anspruchs als solchen betreffen (RS0001160), aber die konkrete Exekutionsführung aus anderen Gründen unzulässig machen (vgl Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 36 EO Rz 1).
[14] 1.2 Das Berufungsgericht qualifizierte die Klage in seiner Begründung zwar als Oppositionsklage, erkannte aber zutreffend, dass sich das Begehren der Klägerin nicht insgesamt gegen den Titel oder jeglichen Anspruch aus dem Räumungsvergleich richtete, sondern nur gegen die allein auf den Mietzinsrückstand für April 2020 gestützte und aufgrund dessen vom Exekutionsgericht bewilligten (Anlass-)Räumungsexekution. Damit behandelte das Berufungsgericht das erhobene Begehren im Ergebnis zutreffend als Impugnationsklage.
[15] 1.3 Soweit der Beklagte argumentiert, die Klägerin habe „weder behauptet noch bewiesen, aus welchen Gründen der formulierte Räumungsvergleich als unwirksam zu interpretieren wäre“, übersieht er, dass sich die Klage inhaltlich eben nicht gegen den Titel selbst oder dessen Wirksamkeit richtete, sondern allein gegen die – nur aufgrund des für April 2020 behaupteten Zahlungsverzugs – bewilligte Räumungsexekution. Nur „insoweit“ erklärte auch das Berufungsgericht den Anspruch für „erloschen“ und damit letztlich die konkrete Exekutionsführung für unzulässig. Im Übrigen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Umformulierung der als „Feststellungsklage“ erhobenen Begehren der Klägerin von beiden Parteien im Revisionsverfahren auch nicht beanstandet.
[16] 2. Die mit 16. März 2020 in Kraft getretene, auf der Ermächtigung des § 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes [BGBl I 2020/12, Art 8] beruhende Regelung des § 1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, BGBl II 2020/96, („Schließungsverordnung“), verlängert durch die beiden Verordnungen BGBl II 2020/110 und BGBl II 2020/151, untersagte mit Ausnahme bestimmter Bereiche der Grundversorgung das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben. Dieses Betretungsverbot galt gemäß BGBl II 2020/151 Z 6 bis zum 30. April 2020. Die in § 2 Z 1 bis (zunächst Z 21, später) Z 23 dieser Verordnung genannten Ausnahmen von den Betretungsverboten, die durch die erwähnten späteren Verordnungen teilweise ergänzt wurden, waren für Bereiche wie Apotheken, Lebensmittelhandel, Drogeriemärkte, Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, Tankstellen, Banken, Postdiensteanbieter, Lieferdienste, öffentlicher Verkehr, Abfallentsorgungsbetriebe und Kfz-Werkstätten, später auch Bau- und Gartenmärkte sowie Pfandleihanstalten vorgesehen. In keine dieser Ausnahmen lässt sich das von der Klägerin betriebene Solarstudio einordnen. Im hier maßgeblichen Zeitraum 1. bis 30. April 2020 galt daher für das Geschäftslokal der Klägerin ein uneingeschränktes behördliches Betretungsverbot für ihren Kundenbereich.
[17] 3. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen „außerordentlicher Zufälle“, namentlich (ua) wegen „Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen (oder) Wetterschläge“, gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist gemäß § 1104 ABGB kein Mietzins zu entrichten, doch ist der Bestandgeber zur Wiederherstellung des Bestandobjekts nicht verpflichtet. Unter den Voraussetzungen des § 1104 ABGB, der keine abschließende Aufzählung der außerordentlichen Zufälle enthält, entfällt demnach die (verschuldensunabhängige) Erhaltungspflicht des Bestandgebers nach § 1096 ABGB (vgl RS0020783), es kommt allerdings auch zu „einer Erlassung des Zinses“.
[18] 4. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 1104 ABGB auf die von den Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie betroffenen Bestandverhältnisse über Geschäftsräumlichkeiten liegt bereits ein umfangreiches Schrifttum mit zahlreichen Beiträgen vor (vgl dazu etwa die Übersicht bei Oberhammer, Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl 2021, 417 ff [420, FN 13]). Darin wird vielfach die Ansicht vertreten, dass die für Mieter von Geschäftsräumlichkeiten entstandene Beeinträchtigung bei der Verwendbarkeit ihrer Geschäftslokale, die aus Verboten im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie resultierten, nach den §§ 1104, 1105 ABGB zu prüfen sei (vgl etwa Edelhauser, Bestandrechtliche Folgen der COVID-19-Pandemie, ÖJZ 2020, 341; Ehgartner/Weichbold, COVID-19: Mietzinsminderung für Geschäftsräume? wbl 2020, 250; Lovrek, COVID-19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020, 1; Karauschek/Pillwein, COVID-19 und Rechtsschutzversicherung für bestandrechtliche Streitigkeiten gemessen an der Entscheidung des OGH vom 24. 3. 2021, 7 Ob 42/21h, immo aktuell 2021, 144 mwN; Pesek, Ausgewählte Fragen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Mietzins bei Geschäftsraummieten, wobl 2021, 125 [131]; Laimer/Schickmair in Resch, Corona-Handbuch1.02, Kapitel 11, Rz 7 mwN), allerdings wird auch gegen die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB für diese Fälle argumentiert (vgl etwa Krenn/Schüßler-Datler, Miete zahlen oder nicht? Zur Bestandzinsfortzahlung während hoheitlicher COVID-19 Einschränkungen, RZ 2020, 123 [125 ff], und Broesigke/Ruf, Zinsminderungsansprüche von Geschäftrsraummieten während der Coronavirus-Krise unter Einbindung der Sphärentheorie, immo aktuell 2020, 77 [79]).
[19] 5. Die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum, nach der die COVID-19-Pandemie mit dem deshalb angeordneten Betretungsverbot grundsätzlich einen Anwendungsfall des § 1104 ABGB bilden kann, hat nach Ansicht des erkennenden Senats überzeugende Argumente für sich:
[20] 5.1 „Außerordentliche Zufälle“ im Sinn des § 1104 ABGB sind elementare Ereignisse, die von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemeinen von niemandem Ersatz erwartet werden kann; diese Elementarereignisse treffen stets einen größeren Personenkreis auf eine Weise, die durch eine gesetzliche Regelung über Ersatzansprüche nicht ausgeglichen werden kann (1 Ob 306/02k; 7 Ob 520/87; Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1108 Rz 8 mwN; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1104 ABGB Rz 13; Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1104 Rz 5 und 6 mwN; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1105 Rz 3).
[21] 5.2 Zu den in § 1104 ABGB (ua) ausdrücklich genannten Elementareignissen gehört die „Seuche“. Unter einer Seuche versteht man eine Infektionskrankheit, die infolge ihrer großen Verbreitung und der Schwere des Verlaufs eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Diese Definition trifft unzweifelhaft auf COVID-19 zu (so schon 7 Ob 214/20a [Pkt 3.5.]; 7 Ob 88/21y [Punkt 3.5.1]).
[22] 5.3 Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 galt aufgrund der (zu Punkt 2. näher bezeichneten) Schließungsverordnung für das fragliche Bestandobjekt im hier maßgeblichen Monat April 2020 ein Betretungsverbot. In diesem Zeitraum konnte daher das Geschäftslokal „gar nicht gebraucht oder benutzt werden“. Dies erfüllt die Kriterien des § 1104 ABGB auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – erst unmittelbar aus dieser hoheitlichen Anordnung (Betretungsverbot) folgte, dass das für bestimmte Geschäftszwecke gemietete Objekt nicht entsprechend der vertraglichen Vereinbarung genutzt werden durfte. Dies entspricht nämlich dem von der Rechtsprechung schon bisher vertretenen Verständnis zu § 1104 ABGB, nach dem auch aus Elementarereignissen resultierende hoheitliche Eingriffe einschlägig sein können (vgl RS0038602, RS0024896 [Beschlagnahme]; 8 Ob 610/90 [Durchführung von Personenkontrollen zur Verhinderung terroristischer Anschläge]).
[23] 5.4.1 Die Klägerin konnte im Zeitraum von 1. bis 30. April 2020 das von ihr laut Bestandvertrag zum Zweck des Betriebs eines Sonnenstudios angemietete Geschäftslokal auch nicht teilweise nutzen. Die eingeschränkte Verwendung, etwa für administrative Tätigkeiten oder zu Lagerzwecken, kam im konkreten Fall nicht in Betracht, war dies doch nach den bindenden erstgerichtlichen Feststellungen für die Klägerin weder erforderlich noch sinnvoll möglich. Es fand auch kein Verkauf von Pflegeprodukten statt und es wurden weder solche Produkte noch Getränke im Bestandobjekt gelagert.
[24] 5.4.2 Aus dem – vom Beklagten in seiner Revision relevierten – Umstand, dass die Einrichtungsgegenstände des Solarstudios im April 2020 im Lokal verblieben, lässt sich eine teilweise Nutzung und der daraus gefolgerte Anspruch auf (teilweise) Leistung des vereinbarten Bestandzinses ebenfalls nicht ableiten. Der Beklagte geht zutreffend selbst davon aus, dass das Bestandverhältnis mit der Klägerin im April 2020 aufrecht war, und auch die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB bewirkt per se nicht das Erlöschen des Bestandvertrags (Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1104 ABGB Rz 18), weshalb kein Anspruch des Beklagten auf Entfernung der Einrichtung im Sinn einer (gänzlichen) Räumung des Bestandobjekts für den fraglichen Zeitraum bestand. Das bloße Belassen des Inventars in den Räumen ist auch keine „Nutzung“ des Bestandobjekts zum vertraglich vereinbarten (Geschäfts-)Zweck. Eine – wie die Revision meint – „Berücksichtigung des Werts“ dieser „Benützung“ durch das im Objekt stehende Inventar kommt damit nicht in Betracht. Überdies hat durch den bloßen Verbleib der Einrichtung des – von niemandem betretenen – Solarstudios im konkreten Fall im April 2020 infolge des Abschaltens sämtlicher Geräte durch die Klägerin schon Mitte März 2020 weder eine Abnützung der Räumlichkeiten noch ein Energieverbrauch stattgefunden.
[25] 5.5 Als Zwischenergebnis folgt daher, dass das Bestandobjekt im April 2020 infolge eines in § 1104 ABGB ausdrücklich genannten Elementarereignisses (Seuche und daraus folgendes behördliches Betretungsverbot) zur Gänze nicht gebraucht werden konnte. Rechtsfragen, die sich aus einer zumindest teilweisen Nutzung des Bestandobjekts ergeben könnten, stellen sich demnach im vorliegenden Fall nicht. Die gesetzlich unmittelbar angeordnete Rechtsfolge ist, dass „kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten (ist)“.
[26] 6.1 Diesem unmittelbar aus dem Gesetz ausdrücklich folgenden Ergebnis einer „Erlassung des Zinses“ wird im Schrifttum vereinzelt entgegengehalten, dass „§ 1104 ABGB (…) insofern lückenhaft (sei), als er den Fall nicht bedenkt, dass die dort geregelten außerordentlichen Zufälle ausnahmsweise nicht in die physische Substanz des Bestandobjekts eingreifen, und dass der Bestandgeber seit Entstehung des Mieterschutzes keine Möglichkeit hat, unbefristete Verhältnisse ohne Vorliegen eines Grundes gemäß § 30 MRG zu beendigen“. Diese angebliche Lücke sei „durch Heranziehung des modernen Geschäftsgrundlagenrechts“ dahin zu füllen, dass ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Bestandverhältnisses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage anerkannt oder qua Vertragsanpassung bei vollständiger Unbrauchbarkeit des Objekts der Entfall des Bestandzinsanspruchs (nur) bis zum nächsten Kündigungstermin oder die Halbierung des Bestandzinses für die Zeit der Unbrauchbarkeit vorgenommen werde (so etwa Oberhammer, Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl 2021, 493 [insb 505]).
[27] 6.2 Dieser Ansicht ist zunächst schon deshalb nicht zu folgen, weil § 1104 ABGB den Fall, dass das Elementarereignis nicht in die physische Substanz des Bestandobjekts eingreift, sehr wohl bedenkt und sogar ausdrücklich als Anwendungsbeispiel nennt, wirkt sich doch die namentlich angeführte Seuche geradezu typischerweise nicht auf die Substanz des Bestandobjekts aus. § 1104 ABGB ist betreffend die angeordnete Rechtsfolge „einer Erlassung des Zinses“ auch nicht lückenhaft, sondern unmissverständlich deutlich. Es bedarf daher in diesem Punkt keiner Lückenfüllung, sondern es müsste für eine Aliquotierung des Bestandzinses bei gänzlicher Unbenützbarkeit methodisch eine teleologische Reduktion der gesetzlichen Regelung erfolgen. Ein Grund für die Vornahme einer solchen liegt nach Ansicht des Senats nicht vor. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen für Bestandverhältnisse, die von COVID-19-bedingten Einschränkungen betroffen sind, ein Recht zur außerordentlichen Kündigung bestehen könnte, ist hier nicht entscheidungsrelevant und bedarf daher keiner Prüfung.
[28] 7.1 Die Klägerin verpflichtete sich im Vergleich vom 28. Jänner 2020 für den „Fall des auch nur teilweisen Zahlungsverzugs“ zur sofortigen Räumung des Geschäftslokals. Die Zulässigkeit der beantragten Räumungsexekution setzte also voraus, dass die Klägerin mit der Mietzinszahlung in Verzug geraten war. Zwar zahlte die Klägerin im April 2020 dem Beklagten tatsächlich keinen Mietzins und keine Betriebskosten, allerdings war das Objekt in diesem Monat für sie infolge des für ihren Betrieb uneingeschränkt geltenden Betretungsverbots sowie wegen der fehlenden Möglichkeit einer anderweitigen Nutzung in keiner Weise verwendbar. Gemäß § 1104 ABGB war sie daher berechtigt, für diesen Monat den Bestandzins nicht zu leisten und damit lag auch kein „Zahlungsverzug“ vor.
[29] 7.2 Der Beklagte meint, der Klägerin wäre ein Anspruch auf Fixkostenzuschuss zugestanden, und die Annahme des Berufungsgerichts, dieser entfalle dann, wenn eine Mietzinsbefreiung vorliege, mache „die gesamte Verordnung obsolet“. Dem ist zu entgegen, dass die Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19 Finanzierungsagentur der Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 2020/225, erst am 26. Mai 2020 in Kraft getreten ist und daher für die Zinsfälligkeit für April 2020 und den Zeitpunkt der darauf aufbauenden Bewilligung der Räumungsexekution am 18. Mai 2020 rechtlich (noch) nicht relevant sein konnte. Für den Erfolg der Klage reicht es im Regelfall aus, wenn der geltend gemachte Impugnationsgrund im Zeitpunkt der Erlassung der Exekutionsbewilligung gegeben war, selbst wenn er in der Folge weggefallen sein sollte (vgl RS0000924 [insb T3]).
[30] 7.3 Soweit der Beklagte in seiner Revision erstmals „steuerliche Vorteile“ der Klägerin behauptet, handelt es sich um eine unzulässige Neuerung (§ 482 Abs 2 ZPO).
[31] 7.4 Der Beklagte führt schließlich aus, die Klägerin wäre „zumindest“ verpflichtet gewesen, für April 2020 die Heiz- sowie die Betriebskosten zu bezahlen, weil sich dies aus dem Wortlaut des Vergleichs vom Jänner 2020 ergebe. Dem ist zu entgegen, dass im Vergleich nur Heiz- und Betriebskostenakonti tituliert waren, und auf einen daraus resultierenden Zahlungsverzug hat der Beklagte seinen Exekutionsantrag nicht gestützt. Im Übrigen stehen der Behauptung des Beklagten von unberichtigten Betriebskosten für April 2020 die erstgerichtlichen Feststellungen entgegen, wonach in diesem Zeitraum im Bestandobjekt bereits alle Geräte sowie Strom und Heizung abgeschaltet waren, sodass insoweit die – laut Mietvertragsinhalt verbrauchsabhängigen – Kosten nicht angefallen sein können. Auf die – im Schrifttum unterschiedlich beantwortete – Frage, ob der Bestandnehmer trotz Anwendbarkeit des § 1104 ABGB verpflichtet sein könnte, Betriebskosten zu zahlen (so etwa Edelhauser, Bestandrechtliche Folgen der COVID-19-Pandemie, ÖJZ 2020, 341 [347], und Hochleitner, Die Auswirkungen von COVID-19 auf Geschäftsraummieter und Pächter, ÖJZ 2020, 533 [538 f]), ist daher nicht einzugehen.
[32] 8. Im Ergebnis erweist sich die allein auf die unterbliebene Zahlung des Bestandzinses (samt Betriebskosten) für April 2020 gestützte Räumungsexekution als unzulässig, weil im Bewilligungszeitpunkt der dafür notwendige Zahlungsverzug nicht vorlag. Der Revision des Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.
[33] 9. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.